Travel with pleasure

Travel with pleasure

Zwölfter November, sechzehn Uhr. Kein typischer Tag für diese Jahreszeit, die Sonne hat lange Stunden die Stadt beschienen und zieht sich jetzt nicht grau, sondern in königlichem Pink strahlend zurück über die Häuserzeilen.

Ich stehe am Zentralen Omnibusbahnhof in Berlin. Warte auf den Flixbus nach Schwerin, Züge fahren gerade nicht durch wegen ... ach, was weiß ich, vergessen. Bauarbeiten, glaube ich. Also bin ich auf den Busausgewichen.

In der Hauptstadt habe ich meine Kinder und eine Freundin besucht. Jetzt muss ich zurück nach Schwerin, wo alle diese Menschen nicht sind. Wo der November – ich schwöre – niemals pinkfarben, sondern immer grau ist.

Zu allem Überfluss hat der Bus Verspätung. Er kommt aus Warschau und sein endgültiger Ankunftsort ist Lübeck, die Schweriner:innen werden hastig unterwegs ausgekippt wie Ballast. Ich weiß auch nicht, warum mich das immer noch triggert, ich weiß doch seit dreißig Jahren, dass meine Stadt niemals die Hauptrolle in irgendwas spielen wird, nicht einmal in einer Busverbindung.

Ein Kaffee in der Aufenthaltshalle kostet zwei Euro fünfzig. Geht ja noch, mag man denken, aber bei drei Stunden Verspätung sind wir inklusive Trinkgeld bei zwölf Euro und Herzrasen. Ich glaube, für Situationen wie diese wurde das  Wort missmutig erfunden. Ich gehe mir mit meiner miesen Laune selbst auf die Nerven.

Zutiefst gelangweilt schlendere ich über die anderen Bussteige. An der Zwei fährt einer nach Belgrad, der kommt mir gerade recht. Dort gibt es sicher einen ruppigen Balkanfluch in vertrauerter Fremdsprache zuhören, den ich bei der Aussicht auf die anstehende Wartezeit am liebsten selber ausstoßen würde. In der Hoffnung, dass jemand meine Gefühle in Worte fasst, drücke mich wie zufällig in die Nähe.

Der Fahrer engagiert sich mit schweißnasser Stirn an seiner geöffneten Gepäckklappe, ein älterer Herr steht neben ihm, mit einer Reisetasche, die unter gar keinen Umständen mehr in den Busbauch passen wird. Der Herr weiß das, ich weiß das auch. Ich warte auf den Fluch des Fahrers. Aber der streicht dem Alten über die Schulter und sagt, lass nur, Brüderchen, wir regeln das.

Mit geübten Griffen schiebt er hier einen Koffer, dort einen Beutel  zur Seite, stemmt die Tasche des Alten davor, lehnt sich mit seinem Gewicht dagegen. Siehst du, das wird schon.

Ich glaube nicht, dass es wird, aber er hat noch einen Trick – springt in Sekundenschnelle von seinem Gepäckberg, knallt die Tür zu, verriegelt. Lacht, freut sich, gelungen. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und steigt lächelnd ein.

Auf nichts ist Verlass heute, der Tag ist nicht grau, der Bus nicht pünktlich, der Serbe flucht nicht.

Auf dem nächsten Bussteig steht ein buntes Gefährt mit dem Schriftzug Travel with pleasure. Ich trinke einen Schluck von meinem kalten Kaffee aus dem Pappbecher, der nach dem wiederholten Refill im Auflösen begriffen ist. Beim Anblick der Leute, die mit pleasure traveln sollen, werde ich stutzig. Tränen drinnen, Tränen draußen. Natürlich läuft hier manchen der Abschiedsschmerz über die Wangen, das hier ist ein Busbahnhof. Aber so geballt? Drinnen und draußen? Irritiert schaue ich auf die elektronische Zielanzeige. Und dann wird auch meine Kehle eng. Charkiw. Die Leute im Bus müssen nach Charkiw und die davor müssen sie fahren lassen.

Ich schleiche zurück zu meinem Flixbus-Steig. Die Sonne pinkt mir den Weg. Die lügt doch, und wie die lügt.

Der Mann am Kaffeekiosk hat gelernt, dass ich weder Milch noch Zucker für den Kaffee brauche und drei Euro statt zwei fünfzig zahle. Der Frieden, den er mir in den Becher schenkt,  schmeckt stark. Er ist so bitter.

 

 

 

 

 

 

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