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Was für eine Sprache! Der Belletristik-Autor rockt die Gefühle der Lesenden durch sämtliche Oktaven. Ich kann nicht, ich MUSS dieses Buch weiterempfehlen. Falls es noch nicht aufgefallen ist: Ich liebe es, ich habe selten bis nie so ein schönes Buchgelesen.
Seethaler schreibt nicht einfach einen Roman. Die Worte fließen dahin, nehmen gefangen. Sie tauchen die Menschen mit seinem Buch in der Hand in melancholische, manchmal komische, manchmal tragische Stimmung. Immer genau im richtigen Maß.
Als ich das Buch las, habe ich es manchmal einfach kurz zugeklappt. Hab’ den Worten nachgelauscht. Zum Beispiel, als der Protagonist seine an Demenz erkrankte Zimmerwirtin sucht und findet. Er will sie nach Hause bringen, sucht aber ihre sanfte Zustimmung. Der Wortwechsel:
„Wohin gehen wir?“
„Nach Hause“, sagte Simon.
„Durch Wetter, Staub und Überdruss?“
„Klar“, sagte Simon, „wie sollte es denn sonst gehen?“
Die Antwort schien ihr zugefallen.
Oder die Stelle, an der eine andere Figur nach einer Krise im Krankenhaus versorgt werden musste. Er beschreibt sie so:
„Sie hatte sich ohne jeden Widerstand an den Tropf hängen, den Magenschlauch einführen und den Armverbinden lassen und
war kaum eine Stunde später bleich wie der Wintermond in die Nacht hinausgewankt.“
Bleich wie der Wintermond!
Was für eine Prosa, was für eine Poesie, diese Großartigkeiten ziehen sich durch das ganze Buch. Man könnte es schon allein für die Sprache lesen.
Seethaler erzählt in seinem Buch von Robert Simon, der 1966 in Wien ein Café eröffnet. Blöd ist, dass er keinen Namen findet, aber bevor Simon einen dämlichen Namen wählt, lässt er es lieber ganz bleiben. Er ist nun der Inhaber des Cafés ohne Namen.
Auf den knapp 300 Seiten(Taschenbuch) lernen wir die verschiedensten Charaktere kennen. Sie alle kreisen auf unterschiedlichen Umlaufbahnen um das Café. Da ist der Fleischer von gegenüber, den Simon wohl einen Freund nennen würde. Oder Mila, die mit ihm die Küche schmeißt. Jede Menge Gäste, jede einzelne Person kommt mit ihrem Schicksal. Jede einzelne Person ist unfassbar stark gezeichnet mit ebenso unfassbar wenigen Worten. Alle kämpfen sie mit der Liebe. Die einen, weil sie keine finden, die anderen, weil sie ihrer überdrüssig sind. Wieder anderen droht sie zu entfliehen und für manche ist es einfach zu spät.
Es geht um Menschen, wie sie eben sind. Mit all ihren Sehnsüchten, mit all ihren Fehlern mit ihren ganz und gar dusseligen Träumen. Wie wir sie doch alle haben.
Dass Seethaler seinem Protagonisten seinen eigenen Vornamen verpasst, bringt ihn mir als Schriftsteller noch näher, als er es ohnehin schon ist. Wer würde das tun, wenn er nicht die An- und Einsichten seines Protagonisten teilen würde? Genau.
Seethaler schafft es, eine Menge Menschen vorzustellen. Normalerweise bin ich raus, sobald ich merke, dass da zu viel Personal in der Handlung herumwuselt.
Hier wuselt nichts. Der Autor beschreibt die vom Leben Gebeutelten mit einer Zärtlichkeit, die sie im echten Leben wohl von niemandem erfahren hätten. Nicht ein einziges Mal überschreitet er die Grenze zum Kitsch. Kommt nicht mal in die Nähe. Nicht der Hauch einer Banalität schleicht sich in seine Prosa.
Für alle, die poetische, leise und tiefgründige Literatur mögen. Wer Sprache liebt, wird hier reichbeschenkt.
Das ganze Buch ist ein Kunstwerk. Und so gelingt es Seethaler auch, das Unmögliche zu schaffen. Zumindest ich war gleichzeitig keineswegs und unbedingt bereit, die Figuren ziehen zu lassen. Dann habe ich es mit einem leisen Schub in das Regal mit meinen Lieblingsbüchern gestellt. Immer, wenn ich daran vorbeigehe, wird ein warmer Hauch wehen. Aber das ist jetzt Kitsch. Und das würde Seethaler nicht mögen. Also gebe ich ihm zum Schluss noch einmal das Wort für eines der vielen herrlichen Zitate:
„So ein Gewitter ist doch etwas Wunderbares. Es schwemmt den Dreck aus den Straßen und den Trübsinn aus der Seele.“
Hast du das Buch auch gelesen? Oder Lust darauf bekommen? Schreib mir gern, wie es dir gefallen hat. Ob du mit mir im siebten Literatur-Himmel schwebst. Am besten direkt unter post@chris-hannesen.de oder über das Kontaktformular.
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Ich bin Chris Hannesen, norddeutsche Autorin. Meine Themen sind Gesellschaft, Zwischenmenschliches und Natur. Geboren bin ich 1969 ganz nah an der Ostsee. Nach dem Übersetzerstudium in Stuttgart und Kelowna (Kanada) sowie dem Studium der Integrierten Kommunikation in Krems bei Wien lebe ich heute mit Mann und Hund in Schwerin.